Athena Athanasiou, Judith Butler
Die Macht der Enteigneten
Reportagen, Fiktionen, Wirklichkeiten der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts
Globen haben mich schon immer fasziniert. Deswegen fotografierte ich 2011 dieses ganz besondere Exemplar, das mir der FB-Algorithmus jüngst wieder präsentierte. Es gilt als weltweit grösstes Modell der Erdkugel. Ich entdeckte es im Corona Park im New Yorker Stadtteil Queens, dem Terrain der Weltausstellungen von 1939 und 1964. Ins Queens Museum, dessen überrankte Mauer die rechte Bildhälfte zeigt, ging ich vor allem, um dort das Stadtmodell von New York zu sehen. Das Imponierstück hatte Robert Moses 1964 als deren Leiter für die Weltausstellung in Auftrag gegeben. New York sollte als urbanistisches Wunderwerk, als grandioseste Metropole des 20. Jahrhunderts, als Nabel der Welt erscheinen. Facebook hatte das Bild aus den Tiefen seines Archivs gefischt, während ich über die Hinterlassenschaften eines Künstlers nachdachte, dessen Atelier ich geräumt hatte. Zu diesen gehörte ein ramponierter Globus. Hm, überlegte ich, kann der FB-Algorithmus inzwischen Gedanken lesen? Wird damit ein Menschheits- und vor allem Diktatorentraum definitiv...
Wenn der »Glaube an die Welt« fehlt, wenn man die Welt verloren hat oder ihrer beraubt wurde, so ist alles, was in einem solchen Zustand des Unglaubens übrigbleibt, das Verrinnen der Zeit. Das Verrinnen der Zeit, das heute mehr und mehr zu sich selbst zu kommen scheint, sich seiner Vollendung zuneigt, ist ein Prozess, der von den Einzelnen als undurchsichtiges und widersprüchliches Geschehen erfahren wird, der aber als solches unbegreifliches Geschehen zugleich die Gestalt eines unumstößlichen Faktums annimmt. Dass Zeit nur verrinnen kann, dass es sie nur als verrinnende, als Maß ihres eigenen Verrinnens gibt, wird allgemein akzeptiert und vorausgesetzt. Diese allseits vorherrschende Überzeugung, die sich selbst als reines Faktum präsentiert, gründet jedoch in einem Vergessen und einem Verrat. Vergessen und verraten sind, mit Deleuze gesprochen, die in der Welt hervorgerufenen »Ereignisse« und die in die Welt gebrachten »Zeit-Räume«. Sie zeugen von der Möglichkeit und Wirklichkeit eines anderen Zeit-Maßes. Vergessen...
Vom Gefühl und besonders vom Leiden aus ergibt sich kein Weg zur Ethik mitmenschlichen Verhaltens. Die dominierende Gefühlsbetonung im Mitleid verwischt nach Hamburger die Tatsache, dass wir das Leiden des Anderen immer nur im Modus der distanzierten und vermittelten Vorstellung eines Als-Ob erfahren können. Mitleidend leiden wir ohne zu leiden, im Bezug auf das Leiden des Anderen ist nur Teilnahme, nicht aber identifizierende Teilhabe möglich, wie sehr Letzteres auch immer wieder suggeriert werden mag. Hamburger zitiert den Egoismus-Apologeten Max Stirner, man könne zwar nicht die Zahnschmerzen seines Mitmenschen haben, jedoch: »Ihn schmerzt sein Zahn, mich aber schmerzt sein Schmerz.« Man ist versucht, hier an Bill Clintons berühmt-berüchtigtes Bekenntnis zu erinnern, »I feel your pain« (oder Angela Merkels angesichts der leidenden griechischen Bevölkerung »blutendes Herz«). Solche emotionalen Bekundungen können selten ein »Moment des Selbstbezugs«, zugespitzt des narzisstischen Selbstgenusses oder auch Selbstmitleids, verleugnen. Dagegen wird in dem rational verstehenden Bezug der Andere...