Nutzerkonto

Sei Jack!

Michael Heitz, Hendrik Rohlf

Umas Gesicht – Thurmans Stimme

Veröffentlicht am 26.10.2018

EN

Als die gerade 18-jährige Uma Thurman 1989 in Terry Gilliams The Adventures of Baron Munchausen als makellos schöne Filmvenus der Muschel entstieg, war nicht unbedingt abzusehen, wie ausdauernd sie ihr Gesicht hinhalten würde für ein System, das mit Hollywood, Miramax, Weinstein und Co. sicher nicht ausreichend bezeichnet ist. Dass sich das Gesicht Umas, die von ihrem Vater als »reinkarnierte Göttin« gesehen wird und deren Name im Sanskrit »Glanz«, »Licht« bedeutet und ein Beiname der hinduistischen Muttergöttin Parvati ist, als Projektionsfläche und Schutzschirm eignete wie kaum ein anderes, weil es sich in seiner Glätte für Einschreibungen der härteren Sorte offenbar ganz besonders eignete, geht auf das Konto von Quentin Tarantinos Blick. Auf Pulp Fiction, bei dem es virtuos gelang, in kalkulierter Distanz zum guten Geschmack und immer knapp über der Kante des bislang im Mainstream Goutierten eine breite Masse zu adressieren, folgte mit Kill Bill dann das eigentliche Meisterstück und nur äußerst selten Gelingende: Die Erschaffung einer Ikone. Hier qua Konstruktion eines unverwundbaren Gesichts, dem jeder neue Blutspritzer nur als weitere Zierde gereichte, dessen Unsterblichkeit mit jeder neu erlittenen Wunde nur umso schöner zu demonstrieren war und dessen ultramateriale Reinheit übermalt von Dreck und Speichel nur umso leuchtender hervortrat. Gestützt von einem perfekten Narrativ der rächenden Mutter und gnadenlosen Heiligen gelang es, scheinbar Unvereinbares übereinanderzuprojizieren: Brutale Gewalt und souveräne Weiblichkeit, unermessliche Leidensfähigkeit und vitale Sexiness, »Natural born killer« und Mutterschaft. Dass hinter diesem Gesicht auf den großen Leinwänden auch das Haupt eines Harvey Weinstein seine »privaten Auftritte« in Hotelzimmern haben konnte, wirkt heute wie eine traurig evidente Kehrseite der perfekt inszenierten Win-Win-Familie. Großes Kino eben.

Offen blieb die Frage, wie die einer solchen Ästhetik eingepflanzte Steigerungslosigkeit je ein Ende finden kann. Auch Filmnarben reißen nicht nach der x-ten Folge. Dazu bedarf es kontingenter Tatsachen, einem Einbruch des Realen in das filmisch Imaginäre. Ein Unfall zum Beispiel. Dass dieser während Dreharbeiten in Mexiko dann infolge eines doppelten kinematographischen Perspektivenwechsels eintrat, ist nicht die einzige Ironie dieser Geschichte hinter den Bildern. Uma sollte die Strecke entgegen der von Tarantino geprüften Richtung fahren, von der Sonne beschienen, nur von hinten zu sehen, den Wagen unbedingt so schnell fahrend, dass das Haar der Gottgleichen im Fahrtwind wehte. In dem sich dann ereignenden Unfall trägt Thurman körperliche wie seelische Verletzungen davon, die einen Wechsel im Register nach sich ziehen: Wo Umas Gesicht war, soll nun Thurmans Stimme werden.

Bekannt wurde der Vorfall erst im Februar 2018, nachdem Thurman das von den Produzenten zurückgehaltene Material von Tarantino erhalten hatte und im Zusammenhang mit ihrem Interview zu sexuellen Übergriffen Weinsteins in der New York Times »This is Why Uma Thurman Is Angry« veröffentlichte, nicht ohne bereits Monate zuvor ihrer Instagram-Community angekündigt zu haben, dass sie ihrer Wut nun bald laut Ausdruck verleihen müsse, denn das Entscheidende sei vielleicht nicht mehr am Gesicht abzulesen.

Die lange Latenzzeit, die der Anklage in der NYT – die auch eine Beichte über ihr eigenes Schweigen ist – voranging, kommt aber schon zuvor an ihr Ende: 2012 findet Thurman, gerade erneut Mutter geworden, in Lars von Triers Nymphomaniac in fast therapeutischer Weise eine Stimme für ihre jahrelang aufgestaute Wut: Als Gossip vom Set liest sich das dann so: »Uma Thurman was happy to scream like an animal ›50 times‹ for director Lars von Trier.« Dass der vor allem männliche Blick auf das Gesicht nun in einer beeindruckenden Szene, einem Film im Film, wie Thurman treffend bemerkt, an Verzweiflungsschreien zerschellt, ist dieser neuen filmischen Liaison zu verdanken. Es erscheint nun zugleich verletzlich und souverän im Schmerz. Thurmans Rolle der Mrs H, ihre Performance als verlassene Ehefrau, Mutter dreier Söhne, ist emotional vielschichtig und setzt den von Trier moralisch präzis kalkulierten Kontrapunkt zum kalten sexsüchtigen Leiden der Gainsbourg in eindrücklicher Weise ins Bild und auf die Tonspur.

Doch die Arbeit am Gesicht ist für eine Schauspielerin eine unendliche Aufgabe. Muss das untot Konstruierte nicht endlich doch getötet werden?

Die erste Szene von Triers neuestem Film The House that Jack built zeigt die Hauptfigur (Matt Dillon) in einem blutroten Van auf einer Waldstraße, aus dessen Perspektive man eine Frau (Uma Thurman) am Straßenrand neben ihrem liegengebliebenen Wagen sieht, einen ebenso blutroten Wagenheber (engl. jack) in der Hand. Er hält an, steigt aus. Das erste Wort gehört ihr: »I’m standing here holding this jack. Crap’s not working. Do you… do you have a jack I could borrow? – No, I’m sorry. – No? – No. – No. – No. – Ahh. I thought everyone had a jack. – I don’t…« Die nervige Stimme hat schon zweimal das Wort »jack« ausgesprochen, bevor ihr Gegenüber überhaupt zu sprechen beginnt. Denn Jack ist nicht Bill. Der Wagenheber, der zum ersten Mordwerkzeug wird, gibt dem Namenlosen seinen Namen. Und nicht nur das: Im Auto pult sie die Mordtat mit einer Insistenz aus dem Gegenüber, als säße Mann selbst am Steuer. Levinas paraphrasierend ließe sich sagen: »Die Stimme entlarvt meine Freiheit als eine mörderische«. Sei Jack!, provoziert die Stimme und forciert damit das perfide Spiel. Minutenlang insinuiert sie ihm in penetranter Weise, ein Serienmörder zu sein, bis mit der Rücknahme alles Gesagten in Form einer totalen Kränkung das Ziel erreicht ist: »No No no. You have not the disposition for that sort of thing. Way too much of a wimp to murder anybody.« In Großaufnahme sieht man das mit dem Wagenheber zerschlagene Gesicht. Drei weitere Male schneidet von Trier das tote Antlitz in den Film: völlig entstellt, von einem dunklen Loch durchstoßen, als solle das getötete Gesicht Umas nicht nur als erstes Opfer Jack zum Künstler machen, sondern Thurman der Macht ihrer Stimme versichern.

  • Kulturindustrie
  • Kino
  • Gesicht
  • Hollywood
  • Politische Ästhetik
  • Performativität

Meine Sprache
Deutsch

Aktuell ausgewählte Inhalte
Deutsch