Wenn die These zutrifft, dass der Kritiker der Künste zunehmend mit dem avanciert-raffinierten Konsumenten der Gegenwart verschmilzt, lohnt sich ein Versuch, der Semantik und Realität des Kunst-Konsumierens auf den Grund zu gehen. Es zeigt sich hierbei, dass meta-kritische Diskurse – etwa die Beschreibung Bertolt Brechts der Kritik der 30er Jahre als »kulinarische« – sich immer schon der Ess-Metapher bedienten, und dass hinter dem Habitus auch der frühen Kritiker-Helden und Kritiker-Päpste nicht nur das Organ der Presse als Moment medialer Beschwörungs- und Vernichtungsmacht, sondern auch das Organ der Zunge als Moment des Deutungsgeschehens und Kunstgenusses herausgearbeitet werden kann.
»Wir sind Tiere. Unser erster Instinkt,
wenn wir etwas Schönes sehen, ist, es zu fressen.«
Douglas Coupland, »Shampoo Planet«
Im Animationsfilm »Ratatouille« (2007) verfolgt die Ratte Rémy das große Ziel, das Etablissement eines unbedarften jungen Wirts durch ihre Undercover‑Kochkunst in die Fünfsterneliga zu katapultieren. Die letzte und größte Hürde, die es dabei zu überwinden gilt, ist ein Bollwerk des kritischen Geistes: Das Restaurant braucht den Segen des Gastrokritikers Anton Ego, Personifizierung der feinstmöglichen Zunge und größtmöglichen Meinungsmacht. Just an dem Abend, als Ego das Restaurant mit seiner Präsenz beehrt, hat sich die ganze Welt gegen den Koch verschworen. Doch dann kommt alles gut: Ein vom Rattenschwarm unter dem Rémys Kommando in extremis fabriziertes Ratatouille bringt die körpersprachlich aufgebaute Grimmigkeit des Kritikers flugs zum Einsturz, denn es ist so göttlich wie jenes, das Antons Mutter ihm einst kochte. Tags darauf wird dieses Intime öffentlich: Ego habe »ein außerordentliches Mahl aus einer besonders unerwarteten Quelle« genossen, schreibt er. Und legt, bewegt, sein professionelles Selbstverständnis dar: Kritik sei nur dann riskant, wenn es um die Entdeckung und Verteidigung des Neuen gehe, denn dieses sei auf Freunde angewiesen. Er, Anton Ego, habe etwas Neues erlebt. Etwas, das ihn bis ins Innerste erschüttert habe.
Das von »Ratatouille« gelieferte Porträt des Kritikers ist umfassend. Wie eine Windschutzscheibe setzt er sich dem Mittelmaß der durchschnittlichen Produktion aus, die an ihm abprallt, dabei aber seine Eitelkeit kränkt. Die er auch, wenn er es will, mit wenig Aufwand und Verdienst öffentlich vernichten kann. Doch was ihn wirklich ausmacht, liegt unter dieser Schale. Es ist das Begehren nach der alles entscheidenden Nuance, dem höchst ungewöhnlichen Zusammenkommen der Ingredienzien, dem völlig unverhofften Sinnesglück. Wenn es eintritt, zeigt sich, dass er nicht ein vorgeschickter Irgendwer ist, der sich fragt, was dem Publikum vielleicht gefallen könnte. Dieses hat zwar sein Urteil als starken Anhaltspunkt erkennen gelernt. Doch der unausweichliche und unerweichliche Prüfstein für Qualität ist sein ganz eigenes Erleben. Daraus ergibt sich seine Position und Macht, und dafür steht sein Name – er setzt Normen, ist als Einer auserwählt, zu wählen für die Vielen. Seine Gedanken erscheinen am Horizont wie die Sonne, wenn sie über der Großstadt aufsteigt und zu leuchten beginnt, und so wird das Öffentlichwerden der Kritikersicht in »Ratatouille« auch inszeniert. Marcel Prousts Schilderung der Kritiker-Wirkung in »Gegen Sainte-Beuve« könnte Vorbild gewesen sein:
»Indes der Himmel über dem bleichen Tag die Farbe der Glut in den nebligen Straßen annimmt, tragen tausende noch vom Druck und...