Rainald Goetz, Essay »Gewinner und Verlierer«, zweiter Absatz: »Im Bereich des Popjournalismus haben in Deutschland 99 Prozent derer die schreiben aufgrund ihres IQ automatisch Schreibverbot. Es gibt nur einen einzigen anderen Bereich im geistigen Leben dieser Nation, für den ebenfalls dieses 99:1-Verhältnis gilt: Die Deutsche Universität.«1 Das Schreibverbot für die untalentierten 99 Prozent, das Goetz hier erteilt, bezieht sich auf die Untauglichkeit des geisteswissenschaftlichen universitären Schreibens zur Erfassung von Gegenwart: »Oberseminar zum Thema Mode mit dem Titel: Universale Simulation. Mode als Zeichen, Struktur, Strategie, Schein; unter besonderer Berücksichtigung von Baudrillard, Barthes, Buñuel, Benn, Benjamin, Bowie und aktueller Popsongs der letzten zwei Jahre. Würg würg würg.«2 Goetz formuliert hier ein zentrales Problem der geisteswissenschaftlichen Fächer. Ihre Daseinsberechtigung wird in der öffentlichen Debatte nicht selten angezweifelt. Gerade so genannte Orchideenfächer bekommen das zu spüren. Nicht selten bleiben sie in der gesamtuniversitären Profilbildung auf der Strecke – ohne Gegenwartsbezug, der gerne als »gesellschaftlicher Nutzen« reformuliert wird, keine Gelder. Dabei liegt die Besonderheit akademischer Analysen und ihre Schlagkraft oft im zeitlichen Abstand zum Objekt. Darum soll es hier aber nicht gehen.
Bei dem zuerst im Februar 1984 in der Popkulturzeitschrift Spex, später dann in der Sammlung Hirn erschienenen Essay »Gewinner und Verlierer« handelt es sich um eine Art Werkstattbericht, den der Schriftsteller Goetz aus New York gibt. Der Text bietet sich an dieser Stelle nicht nur deswegen an, weil er von einem geschrieben wurde, dessen ↑ Lebenslauf ein Anti-Bologna-Manifest ist: Zunächst hat Goetz in Geschichtswissenschaften promoviert, danach noch in Medizin. Später hat er – so lassen seine Schriften es vermuten – noch ein Studium der Soziologie begonnen, das er abbrach. Trotz all der Studien hielt er sich für keinen Beruf qualifiziert und wurde Schriftsteller. Jener Werkstattbericht aus New York ist nun gleichzeitig Praxis und Explizierung einer Poetik des Machens, die das Goetz’sche Schreiben bis heute bestimmt.
Sein Gestus definiert sich über die Orientierung an einem Aufschreiben der Gegenwart, deren Aufschreiben sofort wieder reflektiert wird. Der Text folgt von Empfängen und Diskussion über die Fernseharbeit des damaligen Korrespondenten der ARD in New York, Ulrich Wickert, der Non-Logik der Digression. Wer Pläne hat, wer machen will, macht Fehler. An einer Stelle wird in Klammern angefügt: »Es ist ja immer noch nicht ausreichend bekannt: das Erste Allgemeine Arbeits Gesetz ist nicht das Fehler-Vermeiden, sondern das die richtigen, die nichtdummen, die neuen Fehler richtig kräftig deutlich machen, um sie möglichst rasch zu korrigieren, anschließend Korrektur des Korrigierten, dann ↑ Korrektur undsofortadinfinitum.«3 Zwar gibt sich der Essay den Anschein einer bestimmten Ordnung, immer wieder wird beispielsweise mit Zwischenüberschriften wie »WELT«, »FREUNDE« oder »ARBEIT« versucht, ordnend einzugreifen – am Ende steht aber stets die Abschweifung. Genauso steht dort aber das schlussendlich doch Gemachte: ein Text, ein Essay, ein Zusammenhang von Sinn – völlig produktlos ist auch die machende Studie nicht. Deren Erfolgsrezept lautet: »Be A Success. Ein Letzter Wahrer Held Der Arbeit sein. Die neuen richtigen Fehler neu und mutig machen, Korrektur, Korrektur der Korrektur. Klug sein, glücklich sein, Spaß haben. Wo es weh tut, fester hin drücken, bis der Schmerz so schreit, daß man es versteht. Die Schwäche erkennen, bekämpfen. Material total sammeln sehen sichten auswerten. Es ist nie zu spät für nichts. Alles, was man weiß vergessen. Immer neu loslegen wie neu.«4 Was Rainald Goetz für die Arbeit des Schreibenden formuliert, gilt – mit Einschränkungen – auch für die Wissenschaft. Das Offene, das durch die eigene Arbeit begrenzt wird, das Materialsammeln, das Sichten, das Auswerten (↑ Sammelband). Die Poetik des Machens ist eben diese: »Immer neu loslegen wie neu.« Nicht das bereits Gesagte als Ausgangspunkt nehmen, weder das, was andere bereits gesagt haben, noch das, was man selbst bereits gesagt hat. Das ist die extreme Formulierung der Ablehnung des Übens, in der die Literatur nicht zu einem Ende, zu einem Produkt kommen muss, da sie die Ziellosigkeit zu ihrem Ziel machen kann. Auf die Wissenschaft übertragen, bedeutet das, dass es nicht Ziel einer akademischen Ausbildung sein kann, Wiederholung und fertiges Produkt zu fordern oder Effizienz, deren Feind die Digression ist, sondern die Vorbereitung auf das Scheitern im Machen, die Vorbereitung auf die Notwendigkeit der Korrektur der Korrektur der Korrektur – und auf das immer neue Loslegen wie neu. Oder in einer anderen Formulierung von Goetz: »Lieber geil angreifen«!5
»Am Anfang war das Gemacht«6 – und es hat niemals wieder geendet. Das ständig sich Schließende und Öffnende, das ist Sprache des Machens, das, was weitergeht, ohne primär teleologisch zu denken. Das Machen steht als Konkretes dem Ziel gegenüber. Es ist eine Unruhe im Machen: Wer anfängt, wer beginnt zu machen, weiß nicht, wo es hinführt, auch wenn das Ziel vor Augen steht. Das Machen beinhaltet immer die Gefahr der Digression, wer macht, setzt sich gerade der Gefahr der Abschweifung aus. Schlimmer noch: Wer macht, kann nicht einmal sagen, ob nicht diese Abschweifung die zielführende ist oder eine zielrekapitulierende; wer macht, gibt es auf, Pläne zu machen. Das Extrem jener Verdrängung des Ziels ist dessen Leugnung: »Warum machst du das?« »Weiß nicht. Einfach machen.« Es wird schon etwas dabei herausspringen. Im Machen stellt man sich dem Scheitern, das der Plan zu verdrängen droht. Machen ist der Aufschub des Ziels und das Ende des Aufschiebens.
»Was machst du?« ist der Frage nach der Profession synonym, öffnet sie jedoch zeitlich. Sie kann sich auf den unmittelbaren Moment genauso beziehen wie auf einen längeren Zeitraum. Sie kann sich aber mit einer winzigen Konkretisierung auch zu der Frage wandeln, die an den geisteswissenschaftlichen Studierenden in Hinsicht auf seine Karriere gestellt wird: »Was willst du damit später mal machen?« Hier wird das Ziel wieder eingeführt. Diese Perspektive soll in der Apologie des Machens, die hier geschrieben werden soll – vulgo gemacht werden soll – jedoch ausgeblendet werden, um diesem widerspenstigen Wörtchen etwas Widerständiges zu entlocken, einen Grundpfeiler einer Unterscheidung. Es geht um die Unterscheidung zwischen den Möglichkeiten eines Studiums vor Bologna und nach Bologna (↑ Bologna-Prozess). Mit zweiterem nämlich, das soll hier als eine Prämisse gelten, ist nichts zu machen.
Was heißt »machen«? »[H]erstellen, fertigen, anfertigen, produzieren«, so gibt es der Duden als erste Bedeutung an und findet den Ursprung im althochdeutschen »mahhôn«, den Lehmbrei zum Hausbau kneten.7 Damit nähern wir uns der Bedeutung, die im Wörterbuch der Gebrüder Grimm als zweite vorgestellt wird: »machen, wie erzeugen, schaffen.«8 Am Anfang ward das gemacht – aus Lehm der Mensch. Im Machen ist ein Nachhall dieses schöpferischen Prozesses zu finden.
»Machen« bedeutet so etwas wie schaffen, schöpfen, das Augenmerk liegt jedoch auf dem Prozess und auf der Möglichkeit des Scheiterns. Man könnte sagen, dass »machen« Kreativität gegenüber der Produktivität hervorhebt. Wer macht, hat größere Chancen, etwas Neues, Schönes, Innovatives zu schaffen, als jemand, der produziert. Zugespitzt: Erst wer die Möglichkeit des Scheiterns riskiert, hat die Chance, etwas zu schaffen. Was bedeutet das nun in Bezug auf die Universität und die hier eingeführte Spaltung vor/nach dem Einsetzen des Bologna-Prozesses? Welches Produkt hat die Universität zu bieten? Wo bietet sie Räume, um zu machen?
Die Idee der Universität als Bildungsanstalt nimmt ihren Ausgang seit der Bologna-Reform nicht mehr in einer äußeren Instanz, sondern wird intern gedacht. Waren die Ideen in früheren Jahrhunderten Begriffen wie »Nation« (↑ Globalisierung) oder »Kultur« zuzuordnen, ist die Idee der zeitgenössischen Universität der Studierende.9 Genau in dieser Wendung liegt die Funktionsweise und die Perfidie des Bologna-Prozesses. Er entzieht sich auf vielen Ebenen einer ideologischen Kritik, indem er sich den Anschein der Pragmatik gibt. War das Ziel der Humboldt’schen Universität in ihren verschiedenen Ausprägungen stets, Persönlichkeiten eines externen Kollektivs hervorzubringen, lässt sie sich nun an ihrem Output an lebenslang lernenden Individuen messen (↑ Lernen, lebenslanges). Berufsqualifizierung bedeutet möglichst effizient einen unendlichen Studierenden zu schulen – und der Status des Studierenden wird nur durch die Universität zuerkannt. Die Begründung der Bologna-Reform vermeintlich unideologisch aussehen zu lassen, ist nur möglich, wenn man die Studierenden in ihren Mittelpunkt stellt. Die Einführung der Bachelor/Master-Struktur? Zur Mobilität der Studierenden und zur besseren Vergleichbarkeit ihrer Abschlüsse (↑ Leistungspunkte/ECTS). ↑ Evaluation? Zur Verbesserung der Lehre im Sinne der Studierenden durch die Studierenden. Alle Noten zählen für den Abschluss? Der Druck auf die Studierenden wird gelindert, schließlich zählen nicht mehr nur die letzten Noten wie bei Diplom oder Magister.
Die ideologische Komponente dieser Maßnahmen wird erkennbar, wenn wir diese Entwicklungen in den Kontext der so genannten corporatisation – und damit die Frage nach den Produkten der Hochschulen – stellen (↑ Korporatisierung). Die Universität wird auf verschiedensten Ebenen mit unterschiedlichen Schritten in ihrer Organisation und, wenn auch nur als Effekt jener Reformen, auf einer pragmatischen Ebene in ihrer Idee immer mehr dem Vorbild von Unternehmen angenähert. Wer sind die Kunden des Unternehmens »Universität«? Zunächst einmal die Studierenden. Sie bezahlen für die Leistungen, die sie erhalten. Das sind die ↑ Vorlesungen, Seminare und ↑ Klausuren und letztlich das Zertifikat, in dem sich diese Leistungen manifestieren. Was sind die Produkte des Unternehmens »Universität«? Hier beginnt es schwierig zu werden: Natürlich sind die Vorlesungen, Seminare und Prüfungen die Produkte, die die Universität vertreibt. Andererseits ist genauso der Studierende das Produkt der Universität – und die Kunden der Universität sind die Unternehmen, die sich diese zum Vorbild nimmt und denen nun höchst berufsqualifizierte Produkte vorgesetzt werden, auf dass sie sich die besten aussuchen. Die alma mater ist zu einer alma lena geworden. Die Frage nach der ideologischen Begründung (↑ Bologna-Glossar) der Bologna-Reformen aber ist innerhalb der Universität nicht zu klären, man muss ihre Einbindung in das Wirtschaftssystem mitdenken.
Die Bedingung eines hohen Outputs an Absolventen, die Bedingung der Produktivität der Universität also, ist, dass möglichst wenige Studierende in ihr scheitern. Die Verschulung, die Noten, die Verkürzung der Studiendauer – all das nimmt den Studierenden die Möglichkeit zu scheitern oder anders formuliert: den Raum und die Zeit, Risiken einzugehen. Das kann ein Auslandssemester sein oder die spontane Entscheidung zu dessen Verlängerung, eine Literaturzeitschrift, für die die Zeit eines Semesters gebraucht wird, eine Band oder ein spannender Nebenjob, ein selbst organisiertes Seminar oder eine Radiosendung. Natürlich können all das auch Studierende ohne Diplom und Magister erleben – es geht hier nur um die Beschreibung einer Tendenz. Es ist jedoch durchaus eine ironische Pointe, dass jenen Gesellen und Meistern gerade die Fähigkeit zum kreativen Weiterdenken fehlt, die in der freien Wirtschaft nachgefragt wird. Das Spannendste und Wichtigste in einem kapitalistischen System ist es doch, Risiken einzugehen, auf die Zukunft zu hoffen, das Scheitern in Kauf zu nehmen.
Man muss etwas können, was nachgefragt wird – das bedeutet Berufsqualifizierung. Daher muss man das, was man können muss, vorher üben. Doch verhindert man nicht so zu scheitern? (↑ Korrektur) Blendet jegliches Risiko aus? Das wiederholen, was es schon gibt: »Als Übung definiere ich jede Operation, durch welche die Qualifikation der Handelnden zur nächsten Ausführung der gleichen Operation erhalten oder verbessert wird, sei sie als Übung deklariert oder nicht.«10 So schreibt es Peter Sloterdijk in seiner »übungsanthropologischen Studie« Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. Im Zuge seiner Lektüre des bekannten Rilke-Gedichts »Archaïscher Torso Apollos«, das dem Buch seinen Titel gibt, identifiziert er die »Trainerautorität«11 des Steines, der als Material des Torsos dient. In seiner Lektüre des Gedichts stellt er die »Vertikalspannung« des Imperativs »Du mußt dein Leben ändern!« heraus, der Ruf von oben zur Arbeit an sich selbst.
Sloterdijk beschreibt einen Planeten der Übenden in einer Zukunft unter dem Zeichen des Exerzitiums.
Was ist das Üben in Bezug auf die Bologna-Reformen? Der Weg führt über die übende Form des Machens: das Nach-Machen. Dies ist das Machen der Bologna-Reform. Das Vorbild der Bologna-Strukturen ist die Universität des angelsächsischen Raumes, die mit den Prämissen des wirtschaftlichen Systems angereichert werden, ihnen aber teilweise auch schon entsprechen. Nicht nur im Großen ist aber das Nach-Machen die Devise: Liegt nicht in der Verschulung der universitären Unterrichtsformen eine Wendung zum Nach-Machen, zum Üben? Die Vorlesung fungiert nicht mehr als aktueller Bericht einer einzelnen Professorin über ihre aktuelle Forschung, sondern vor allem als effiziente Maßnahme der massenhaften Wissensvermittlung. Das Seminar dient nicht dem Dialog über ein Problem, dem gemeinsamen fragenden Forschen, sondern zur Auseinandersetzung mit einem beliebigen Kanon, an dem soft skills erlernt werden sollen (↑ Schlüsselqualifikationen). Der Unterschied zwischen Machen und Nach-Machen oder Üben ist der: Beim Machen ist das Augenmerk auf den Prozess gerichtet, der ergebnisoffen abläuft, im Üben liegt das Ergebnis offen und soll genau so, im Idealfall durch dieselbe Operation noch einmal erzeugt werden. Das Bachelorstudium ist für den homo repetitivus, wie ihn Sloterdijk beschreibt, für den »mit sich selbst ringende[n], […] um seine Form besorgte[n] Mensch[en]«,12 der unter dem Imperativ der globalen Krise seine Effizienz in der Wissensaneignung beweisen muss. Graduieren Sie bitte jung, dann ist die Welt noch zu retten!
Natürlich werden hier Extreme bemüht – aber war nicht genau das der Vorwurf an das Magisterstudium: dass dort nichts gemacht und nichts Zählbares dabei herausspringen würde? Dass deshalb eine Verschulung der Lehre die Produktivität erhöhen müsste? Nur aber wenn man schon weiß, was man zählen soll, kann etwas Zählbares herausspringen. Die korrekte Wiederholung einer vorgeführten Operation, die ihr Ziel in der perfekten Vollführung findet, ist zählbar. Die unerwartete Lektüre nicht, die ist auch nicht von allen zu erwarten (↑ Lektürekurs), schon gar nicht das, was jenseits des klassischen Curriculums eines geisteswissenschaftlichen Studiums gemacht wird – das Magazin, der Roman, die Band. An dieser Stelle zeigt sich wieder der vorher schon beschriebenen Gegensatz zwischen Kreativität und Produktivität, dem Denken des Scheiterns und dem Denken des Produkts. Das gefährliche Leben muss in der Risikogesellschaft minimiert werden.
Noch einmal: »Lieber geil angreifen«! Und weiter: »[K]ühn totalitär roh kämpferisch und lustig, so muß geschrieben werden, so wie der heftig denkende Mensch lebt.«13 Dies ist der zentrale Satz aus dem Schluss von »Subito«, dem Text, der Goetz bekannt machte. Zum Vortrag dieses Manifestes auf den Literaturtagen in Klagenfurt im Jahr 1983 schnitt er sich die Stirn – das Hirn – auf und las blutend zuende.14 Uns soll zum Abschluss dieser Apologie des Machens die Frage interessieren: Wie lebt der heftig denkende Mensch? Was macht sie? Denken wir uns den heftig denkenden Mensch als ↑ Intellektuellen – einer der Idealtypen, die aus dem Studium der Geisteswissenschaften entstehen können. Was bedeutet es machend zu denken? Im Verlauf dieses Textes haben wir einige Anhaltspunkte gesammelt. Erstens ist das schöpferische Denken gemeint, das dem akademischen Denken nicht völlig fremd ist. Zweitens ist die Möglichkeit des Scheiterns in dieser Art des Denkens immer einkalkuliert. Es ist ein risikoreiches Denken, das über die Grenzen hinausgeht, die es sich selbst setzt, und das Ziel missachten muss, sich nicht an einem Produkt orientieren kann. Es ist nicht das Denken der Wiederholung, der Perfektionierung, des Übens, sondern das des Unterschieds, des Nicht-Messbaren, der Digression, des Unfertigen. Durch den Bologna-Prozess wird dieses Denken an die Ränder gedrängt. Den Bologna-Prozess wiederum machend zu denken, würde bedeuten, sein Jenseits anzurufen, eben nicht die Wiederholung, den erneuten Versuch der Einübung einer wie immer gearteten Humboldt’schen Universität zu fordern, sondern sich anstelle des passiven Widerstands dem Aufbruch zu widmen (↑ Bestiarium).
1 Rainald Goetz: »Gewinner und Verlierer« [Februar 1984], in: ders.: Hirn. Schrift Zugabe, Frankfurt/Main 2003, S. 32-56, hier S. 32.
2 Ebd.
3 Ebd., S. 39.
4 Ebd. S. 56.
5 Rainald Goetz: »Subito« [25. Juni 1983], in: ders.: Hirn. Schrift Zugabe, Frankfurt am Main 2003, S. 9-21, hier S. 20.
6 Michel Decar: Jonas Jagow, Ms. 2012, S. 2.
7 Art. Machen, in: Duden Online, unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/machen, (aufgerufen: 28.05.2012).
8 Art. Machen, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, unter: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GM00007, (aufgerufen: 28.05.2012).
9 Für eine historische Analyse der Ideen, die die Universität leiteten s. Bill Readings: Universität in Ruinen, übers. v. Johanna-Charlotte Horst u.a., Zürich, Berlin voraussichtl. 2013. Für die heutige Universität gibt Readings den leeren Signifikanten der »Exzellenz« als Leitbegriff an.
10 Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt/Main 2009, S. 14.
11 Ebd., S. 50, Lektüre, S. 37-51.
12 Ebd., S. 24.
13 Rainald Goetz: »Subito«, in: ders.: Hirn, a.a.O., S. 20f.
14 Was dieser Akt im Verhältnis zum Machen und insbesondere zu Goetz’ Poetik des Machens bedeutet, wäre nicht nur ein interessanter Untersuchungsgegenstand, sondern würde eine weitere Dimension des Machens öffnen. Die nämlich der Tat des Machens als etwas Körperliches.
hat in München und Paris Literatur und Soziologie studiert. Aktuell arbeitet er an einem Dissertationsprojekt mit dem Titel »Pop und Tod. Poetologische Studien zu Rainald Goetz, Thomas Meinecke und Christian Kracht«. Daneben ist er als Journalist und Autor tätig. Jeweils als Mitherausgeber verantwortet er die Literaturzeitschrift Das Prinzip der sparsamsten Erklärung und das Online-Journal Helikon.
»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.
Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.