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Jürgen Paul Schwindt: Exzellenz
Exzellenz
(S. 101 – 103)

Wissenschaftliche Lexikographie als Flaschenpost

Jürgen Paul Schwindt

Exzellenz

PDF, 3 Seiten

Exzellenz, Leitbegriff der kontaminierten Sprache der Universitäten im Bologna-Zeitalter (↑ Bologna-Glossar). Mit ihm bringt die neue Universität ihre innere Leere zur Anzeige. Sie tut dies, indem sie (1) einen abstrakt-relationalen Begriff absolut zu fassen sucht, indem sie (2) den Akt der Verleihung des Titels durch die Selbsttitulatur ersetzt, indem sie (3) einen Begriff der Ausnahme pointiert in sein Gegenteil, den Ausdruck der Regel, verkehrt.

(1) »excellentia …; et usurpatur abstracte et relative, numquam vero concreto, uti ajunt, sensu et absolute« (E. Forcellini: Lexicon totius Latinitatis, 6 Bde, Padua 1771, ad loc.)

Die traditionelle Bedeutung des Begriffs der Exzellenz macht ihn geeignet, in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gebraucht zu werden. Dass etwas (aliquid) in, an oder durch etwas (aliqua re) vor anderen oder anderem (inter aliquos oder alicui [rei]) herausrage, ist so häufig der Fall, dass man die Exzellenz unverdächtig als orientierende Größe benutzen kann. Problematisch ist die Herauslösung des als exzellent Gedachten oder Erkannten aus seinem Kontext. Zwar ist das Etymon des räumlichen Ragens schon in den überlieferten lateinischen Stellen nur mehr schwach repräsentiert, doch bleibt die »Verortung« des Exzellenten in aller Regel präzise. Im modernen Sprachgebrauch dagegen ist die etymologische Basis irrelevant geworden; der traditionelle Sinn des Wortes, der auf eine Unterscheidung hinauslief, ist eingetauscht gegen die prominente Außenwirkung des Rauschens. Exzellenz ist zum verbum exclamationis geworden und steht als Begriff nicht viel höher als »bravo!«, »super!« und »prima!«. Exzellenz ist die transgenerische Vokabel, die in jedes Nutzers Mund und Rede das Sekundenfeuerwerk unhinterfragbarer Auszeichnung zündet (↑ Konzerte, Brandenburgische). Exzellenz ist der Inbegriff des nicht diskursfähigen Wortes. Wir sollten es daher künftig mit einem Ausrufezeichen versehen: »Exzellenz! (Fragen Sie nicht weiter!)«. Es ist das Wort, das jede Erörterung, jede Nachprüfung zum Verstummen bringt. Es ist das Wort, das das gewaltsame Glück des Exhibitionisten an die Stelle der Verständigung setzt.

(2) »excellentia: titulus honorificus, quo amplissimi ordinis homines appellantur« (Thesaurus linguae Latinae, Bd. V 2, Leipzig 1931–1953, ad loc.)

In der lateinischen Spätantike ist die excellentia ein häufig gebrauchter Ehrentitel der Stadt- und Prätorierpräfekten, der Prokonsuln und Konsulare, der Magistri militum und equitum, gelegentlich findet er sich auch bei Kaisern und Königen. In aller Regel konnten sich die also titulierten Persönlichkeiten nicht selber auszeichnen. Das unterscheidet sie von ihren modernen Nachfolgern, die die Auszeichnung, sowie sie sie von den zur Auslese bestellten Behörden empfangen haben, unbefangen im Munde führen. Noch am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war »Exzellent!« der bewundernde Ausruf des Connaisseurs, der, wenn er auch seine Kennerschaft im exklamatorischen Lob hinreichend deutlich zu erkennen gab, diese doch mit dem für exzellent Befundenen zu teilen entschlossen war – und, mindestens für den langen Augenblick der Verwunderung, vor dem famosen Können des anderen die Waffen streckte.

Der Titel der Exzellenz nun stiftet die Anerkennung eines Abstandes, den man nicht länger nur als das augenblickliche Ergebnis bedeutender Anstrengung gelten lassen, sondern vielmehr auf Dauer stellen will. Der strategische Clou der Neuordnung des Titelwesens liegt darin, dass die Vergabe des Exzellenz-Titels, wie schon oft gerügt, gar nicht an schon erbrachte Leistungen, sondern an die honorige Aussicht auf solche Verdienste geknüpft ist. Nicht wer in den Stand (ordo) der Leistungsträger aufgestiegen ist, empfängt den Namen der Exzellenz: Der Titel soll vielmehr machen, dass seine Träger forthin dem höchsten Stande zugehören. Szenarien wie die in den Primetime-Nachrichten ausgestrahlten Bilder von den Jubelketten universitärer Würdenträger, die bei Sekt und Canapés ihrer Freude über die Erhebung in den amplissimus ordo Ausdruck verliehen, sind deshalb peinlich, weil sie an die feuchtfröhlichen Gelage der Diener und Mägde in römischen Lustspielen erinnern: In Abwesenheit des Hausherrn lässt das Gesinde den lieben Gott einen guten Mann sein. Der Sekt aus dem Supermarkt ist das Faustpfand des exzellenten Feierdieners, wenn er die Nüchternheit des akademischen Forums mit der Intimität der häuslichen Pantryküche vertauscht. Die Exzellenz-Initiative hat, um es mit einem Wort zu sagen, einen regenbogenbunten Blitzadel geschaffen (↑ Elite), der sich nicht schämt noch scheut, auch schon den Vorschein seines akademischen Erfolges in die schmissige Münze des Parvenüs zu verwandeln. Schaumweinselig prostet er sich im trüben Spiegelglas seiner Amtsstube selber zu: »Wie exzellent einer wie ich doch sein kann!«.

(3) »celsus, -a, -um ›hochragend, erhaben, hochmütig‹ …; PPP. von -cello in excello, -lsus, -ere ›rage heraus, hervor‹ …
zu Wz. *qel(e)- ›ragen, hoch (heben)‹ in lat. collis ›Hügel‹ …, columen, culmen ›Gipfel‹, columna ›Säule‹ …; gr. kolonós, kolóne ›Hügel‹, kolophón, -ônos m. ›Gipfel, Spitze‹ …, as. holm ›Hügel‹ (nhd. Holm)« (A. Walde u. J.B. Hofmann: Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1982.)

Nichts ist natürlicher, als dass das Herausragende aus etwas herausrage und dass dieses etwas, aus dem es herausragt, nicht in gleicher Weise herausragend sein könne wie das aus ihm Herausragende; im Verhältnis zu diesem ist es vielmehr der Hinter- oder Untergrund, der Horizont oder die Ebene (wäre es auch etwas, das selbst wieder aus anderem oder verglichen mit anderem herausragte). Die excellentia ist eine spezifische Qualität, die relational generiert wird. Vor allem aber ist sie etwas, das man sich hüten sollte, anders als von Einzeldingen zu gebrauchen. Auf ein collectivum bezogen verliert der Begriff jede Prägnanz: Er ist ein Name des Unterschieds, nicht kollektiver Qualität. Von der Gruppe gebraucht tritt als das konstitutive Kriterion an die Stelle der je persönlichen Auszeichnung das signum der Macht. Die Exzellenz der Kollektive ist eine politische Fiktion, die an die Stelle der Güte die Zeichen der Organisationsgewalt rückt. Die Exzellenz der Kollektive hat den Wissenschaften in aller Regel den Stumpfsinn der Monotonie, den Völkern und Nationen den Terror gebracht. Die Kollektivierung der Ausnahme führt, wie die Selbstmythisierung mancher Völker (etwa als arya, »Edle«) der älteren und neueren Geschichte lehren kann, geradeswegs in den Abgrund.

Wenn die verzweifelte Bonhomie der gegenwärtigen Bildungsministerin jetzt, da die Universitäten umgepflügt sind, eine Exzellenz-Initiative auch für Lehrerausbildung und Schulen ausruft (FAZ vom 17.12.2011, S. 4), weiß man, dass unseren höheren Bildungsanstalten das letzte Stündlein geschlagen hat. Im »Wörterbuch des neuen Menschen«, an dem unsere Epoche mit parteiübergreifender Beflissenheit arbeitet, behauptet das Wort Exzellenz einen Ehrenplatz. Die (doppelte) Erfahrung von Sprachregelung und Diktatur hat es uns offenbar nicht erspart, erneut in einen Strudel der bis zum Widersinn entleerten Sprachformeln zu geraten (↑ Bologna-Glossar). Wissenschaftliche Lexikographie funktioniert im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als – Flaschenpost.

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Jürgen Paul Schwindt

ist Klassischer Philologe und Indologe und seit 2000 Direktor des Seminars für Klassische Philologie der Universität Heidelberg.

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»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.

Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.

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