Über Jahrhunderte europäischer Entwicklung grenzte der Ein- und Austritt der Studierenden der Universität eine eigenständige Lebensphase aus. Man verließ das Elternhaus, reiste zum Studienort über oft große Distanzen und unterwarf sich in der Universität Regeln, die nicht die des ständischen Herkunftskontexts waren (↑ Globalisierung). Diese Regeln waren in den ordensähnlichen Kollegien des Mittelalters oft sehr restriktiv; in der frühen Neuzeit dominierte in den kontinentaleuropäischen Universitäten stattdessen vielfach eine akademische Freiheit, die eine Toleranz für ein Rowdytum mit sich brachte, das von gesellschaftlich sonst unüblichen Sonderrechten abhing. In beiden Varianten fällt die Abgesondertheit der Universität auf, die die Lebensführung der akademischen Welt von anderen gesellschaftlichen Kontexten trennt. Heute noch praktiziert das amerikanische College eine Kombination aus diesen beiden Varianten. Das Studium ist einerseits eine kommunitarische Lebensform in verpflichtenden »residential colleges«; zugleich entfaltet sich in diesen eine Partykultur (»Greek Life«, »Eating Clubs« etc.), die Spielformen von Libertinage und eine Verzögerung des Erwachsenwerdens mit sich bringt.1 Damit bleibt im amerikanischen Fall die Distinktheit der Lebensphase im College erhalten, wenn auch diese Aussage im Folgenden qualifiziert werden wird (↑ Student im Sumpf).
Die kontinentaleuropäische Universität nach Bologna (↑ Bologna-Prozess) bricht mit diesen Traditionen und ruht auf einer gesellschaftlichen Wiedereinbettung der Universität. Das hat zunächst etwas mit dem Größenwachstum der Universität zu tun. Solange nur 1–5 Prozent der Mitglieder eines Altersjahrgangs ein Universitätsstudium absolvieren (das trifft bis in das 20. Jahrhundert hinein zu), leuchtet es ein, dass man diese kleine Gruppe für einige Jahre aus dem gesellschaftlichen Normalleben herausnehmen kann. Es handelt sich sowieso um Studierende aus relativ privilegierten Familien, um deren Zukunft man sich vielleicht weniger Sorgen machen muss. Haben wir es aber mit 20–70 Prozent eines Altersjahrgangs zu tun, verändert sich die gesellschaftliche Einbettung der Universität drastisch.2 Die Entwicklungen, die wir im Folgenden diskutieren, sind alle vor diesem Hintergrund zu verstehen. Außer dem Wachstum der Universitätspopulation ist dabei auch ihre Diversifikation zu bedenken. Universitäten verstanden sich zwar immer schon über die Diversität der Herkunft ihrer Mitglieder. In einer Universität, die viel breiter in allen Regionen sozialer Ordnung rekrutiert, gewinnt dies aber noch einmal an Prägnanz. Die Präsenz beider Geschlechter (↑ Gender-Mainstreaming), bildungsaktiver und bildungsschwächerer Einwandererpopulationen, ausländischer Studierender und Gäste multiplizieren die Verschiedenheit der Gesichtspunkte, denen die Universität Rechnung tragen muss.
Wichtiger aber als die Diversität der studentischen Herkunftskontexte ist ein anderer Gesichtspunkt. Die Universität kann die Diversität ihrer Studierenden nicht mehr durch ein homogenes Wertmilieu auffangen, das sie als verpflichtend einmahnt. Die Ziele der Studierenden sind nicht mehr die Ziele der Universität, und die Studierenden halten im Studienverlauf an dieser Differenz fest und haben genau dafür gesellschaftliche Unterstützung. Für die Studierenden ist die Universität zuerst ein Ort der Aufstufung von ↑ Kompetenzen, die man als Kompetenzen für die relevante Teilnahme am gesellschaftlichen Leben benötigt. Diese Wahrnehmung steuert die Selektivität des Zugriffs auf das, was die Universität von sich aus anbietet.
Eine erste Folge sind die zeitlichen Limitationen des Engagements der Studierenden in ihrem Studium. Amerikanische Daten dokumentieren dies eindrucksvoll. 1960 setzten amerikanische Collegestudenten wöchentlich noch 40 Stunden in der Woche für ihr Studium ein.3 2003 sind davon 27 Stunden verblieben. Diese Reduktion trifft vor allem die private Lernzeit der Studierenden jenseits der Seminare und Vorlesungen, die von 25 Stunden (1961), auf 20 Stunden (1981) und schließlich 13 Stunden (2003) gesunken ist (↑ Leistungspunkte/ECTS). Auf bemerkenswerte Weise konvergiert dieser limitierte Einsatz studentischer Zeit mit der Forschungsorientierung des professoralen Personals. Die Forschungsorientierung kann die der professoralen Statusgruppe eigene Form sein, sich der Universität als Institution zu entziehen.4 Die beiden Seiten der Lehr/Lernbeziehung könnten insofern Kompromisse schließen, die die Universität als Institution unterminieren: Verzicht auf Schwierigkeit; geringer Leseumfang; Tests und Abschlussarbeiten, die leicht zu korrigieren (↑ Korrektur) sind und deshalb auch an permissives Nachwuchspersonal abgegeben werden können; Inflationierung von Noten; vielleicht sogar eine Toleranz gegenüber Betrug (»Ghostwriting« von Abschlussarbeiten); auf der Seite der Studierenden eine Indifferenz gegenüber Noten, soweit nur das Bestehen gesichert ist. Außerdem spielen der Rückzug von Professoren aus den Lehrveranstaltungen in den ersten Studienjahren und der vermehrte Einsatz von wissenschaftlichem Nachwuchs und Lehrbeauftragten (↑ Lehrauftrag) als Abkopplungsformen eine Rolle.
Was tun die Studierenden mit der verfügbar gewordenen Zeit? Es stehen zwei Alternativen zur Verfügung, die nicht notwendigerweise exklusiv sein müssen. Studierende können als den Fokus ihrer Studienzeit die Intensivierung eines Soziallebens betrachten, das sie in der jetzt möglichen Ungebundenheit und Selbständigkeit im Elternhaus so nicht führen konnten und das noch einmal eine Latenzzeit vor dem rückstandslosen Eintritt in die Erwachsenenwelt sinnvoll macht. Wir haben dies oben bereits als ein Begleitphänomen des amerikanischen College erwähnt (und damit auch die Kontinuitäten zur klassischen Auffassung des Studiums als autonomer Lebensphase). Varianten dieses Musters sind in vielen anderen Hochschulsystemen zu finden. Im englischen Fall kommt diesem Verhalten die relativ kurze Studienzeit von drei Jahren entgegen. Im ersten dieser drei Jahre wohnen die Studierenden überwiegend in universitätseigenen Unterkünften,5 was die Bildung von Sozialbeziehungen und die eines eigenständigen studentischen Sozialmilieus erleichtert. Im zweiten und dritten Jahr wechselt die Präferenz eindeutig zu privatem Wohnen, gemeinsam mit jetzt selbstselegierten Kommilitonen in ziemlich einfachen, aber auf den innerstädtischen Märkten heute typischerweise angebotenen Quartieren, die zugleich den Übergang zu den nichtstudentischen Lebensformen vorbereiten.
Das zweite Muster der Verwendung der freigewordenen Zeit ist das einer Erwerbstätigkeit parallel zum Studienverlauf, die viele verschiedene Varianten annehmen kann. Es geht teils um klassische Studentenjobs, die der Finanzierung des Studiums oder anderer Ausgaben dienen; um Praktika, die Qualifikationen verbreitern und Kontakte eröffnen sollen; um einen faktisch bereits beginnenden Einstieg in die Berufswelt, der parallel zu dem Studium erfolgt, das zugleich die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Berufseinstiegs sichern soll; schließlich um die Fortführung eines Berufs, in den man bereits vor dem Studium eingetreten war. Für die Schweiz gibt es Daten, die für einzelne Universitäten (Bern, Luzern) Erwerbstätigkeitsraten von 83–84 Prozent belegen;6 auch für amerikanische vierjährige Colleges gibt es Schätzungen bis zu 65 Prozent. Ein typischer Mittelwert des Zeitaufwandes für Erwerbstätigkeit liegt bei 13–14 Stunden in der Woche.
Wichtig sind die Motive. Es geht um Studienfinanzierung; Schuldenvermeidung oder zumindest Schuldenbegrenzung; um die Finanzierung eines Lebensstils, der Konsumerwartungen einschließt, die sich normativ an Möglichkeiten orientieren, die gleichaltrigen Nichtstudierenden verfügbar sind. Wichtiger noch ist das hauptsächliche nichtökonomische Motiv: Erwerbstätigkeit und Berufseinstieg sind Garanten von Realitätshaftigkeit für Studierende, die ihre Definition von Realität nicht der Universität zu überlassen bereit sind (↑ Arbeitsmarkt). In diesen Aktivitäten dokumentiert sich der selbstverständliche Wille zur Limitierung der Ansprüche, die die Universität ihren Studierenden gegenüber geltend machen kann.7
Die angemessene Theorie für diese Umstellungen ist zweifellos die »Humankapitaltheorie« – und dies ist nicht ironisch gemeint. Treffend ist die Humankapitaltheorie darin, dass sie deutlich macht, dass es nicht um spezifische Wissensbestände geht, die wegen der Spezifität des angeeigneten Wissens spätere Erfolge wahrscheinlich werden lassen. Vielmehr vermittelt die Universität eine von Beobachtern den Studierenden zugeschriebene generalisierte Kapazität des Problemlösens (↑ Kompetenz), eine Zuschreibung, deren Stabilität den immensen gesellschaftlichen Erfolg der Universität (ungeachtet ihres gleichzeitigen Scheiterns – siehe oben) erklärt. Ein Universitätsbesuch, insbesondere das tatsächlich abgeschlossene Universitätsstudium ist überall in der OECD der verlässlichste Garant eines erfolgreichen Berufseinstiegs.8 Die Einkommensprämie, die ein Universitätsabschluss bedeutet (Mehreinkommen im Lebenslauf, nach Steuern), beläuft sich im Mittel aller OECD-Länder auf 170.000 $ (einzelne Länder über 300.000 $). In den Vereinigten Staaten ist der Median des Jahreseinkommens eines Collegeabsolventen 47.000 $, während bereits die nächstniedrigere Bildungsstufe (Hochschulbesuch ohne Abschluss) nur ein Einkommen von 32.000 $ (nur High School-Abschluss 27.000 $) nach sich zieht.9 Das hauptsächliche Risiko des Studiums besteht dann darin, dass man dieses nicht abschließt, und diese Erfolgswahrscheinlichkeit der Studierenden und ihre Lebensbedeutsamkeit differenziert sehr deutlich zwischen den Hochschulen, Hochschultypen und Ländern. In den 27 Ländern der EU schwanken die Abschlussquoten heute zwischen 45 Prozent und 87 Prozent.
Diesen Umbauten entsprechen Verschiebungen in den Präferenzen der Studienfachwahl, die sich bei Studierenden beobachten lassen. Die amerikanische Literatur spricht gern vom »Aufstieg der praktischen Künste« (»rise of the practical arts«).10 Damit sind professionelle Felder wie Erziehung, Wirtschaft (als Betriebswirtschaftslehre), Public Administration, eine Vielzahl von Gesundheitsberufen, Sozialarbeit, Psychologie und Kommunikation gemeint, die als hauptsächlicher Gegenstand der kognitiven Orientierung der Studierenden auf breiter Front die traditionellen disziplinären Studien verdrängen (↑ Employability). Der Autor dieser Zeilen unterrichtet in einem relativ klassischen soziologischen Studiengang, in dem die Hinzufügung des Wortes »Kommunikation« zum Studiengangsnamen auf viele Studierende wie eine Art Zauberformel gewirkt zu haben scheint. Offensichtlich trennt in der Wahrnehmung der Studierenden ein ziemlicher Graben »Soziologie«, die als ein esoterisches akademisches Unterfangen verstanden wird, von »Kommunikation« als etwas, das dem Wortsinn nach ein unmittelbares Involvement in gesellschaftliche Vollzüge zu versprechen scheint. Utilitaristische Motive und die Bedeutung des Interesses an Einkommen werden von Studierenden dieser Studienwege offen eingeräumt. Auch das ist eine gesellschaftliche Wiedereinbettung der Universität.
Vorstellungen über Zeit treten hinzu. Der Studieneintritt erfolgt überwiegend schnell nach dem Schulabschluss. In den siebenundzwanzig EU-Ländern nehmen derzeit 33 Prozent eines Altersjahrgangs zwischen dem 18. und 20. Geburtstag ein Studium auf.11 Nach dem 20. Geburtstag aber sinken die Eintrittsquoten signifikant. Die Kontrolle eines zügigen Studienfortgangs ist etwas, um das nicht mehr die Universität und ihre Professoren besorgt sein müssen, weil die Studierenden dies selbst forcieren. Bei vielen Studierenden fällt zudem eine extrem straffe Zeitorganisation des einzelnen Tages auf. Das heißt aber auch, dass ein klassisches Kriterium für das Vorhandensein einer Universität entfällt. Diese zeichnete sich durch eine Verlangsamung der Zeit aus, durch eigene Zeitrhythmen der Universität als einer auf Reflexion gestellten Organisation.
Eine Zusammenfassung dieser Überlegungen kann zwei Begriffe als polare Gegensätze verwenden: Bildung und Humankapital (als Weisen der Lebensführung).12 Bildung in einem historisch bedeutsamen Verständnis, das sich in der deutschen Literatur des späten 18. Jahrhunderts herauszuschälen beginnt,13 wurde immer als Voraussetzung der Lebensführung des Individuums verstanden. Der Zusammenhang von Bildung und Individualisierung ist historisch eng und bei Bildungs- und Universitätstheoretikern wie Friedrich Schleiermacher besonders gut dokumentiert.14 Die Formeln für Bildung waren oft paradox: Es ging darum, etwas Begrenztes (den Gegenstand des augenblicklichen sachlichen Interesses) zu etwas Unbegrenztem zu erweitern; etwas Bedingtes (von anderem Abhängiges, und das schließt eine zu bildende Individualität ein) soll sich als etwas Unbedingtes (nur von sich selbst Abhängiges) erweisen; die Welthaltigkeit der Bildung zeigt sich in der Unbegrenztheit der Sinnbezüge, die sie auch an begrenzten Gegenständen zu erschließen versteht.
Humankapital teilt mit Bildung vor allem den Gesichtspunkt der Allgemeinheit (aber nicht die Unbegrenztheit oder gar Unendlichkeit). Humankapital ist inkorporiertes, hochgradig generalisiertes Vermögen, das auch vorliegt, wenn man nicht eine der »practical arts« studiert hat, und das als Humankapital die gesellschaftsweite Anschlussfähigkeit des Studiums für Lebensführung und Beruf verbürgt (↑ Austauschbarkeit). »Humankapital« ist treffender als der Bourdieu’sche Begriff des »kulturellen Kapitals«, weil dieser zu eng mit der klassischen Bildungswelt zusammenhängt, die für viele nicht mehr bedeutsam ist. »Kulturelles Kapital« vermittelt noch die Vorstellung, dass es eine in irgendeinem Sinne geschlossene Sphäre der Kultur gibt, in die man auf der Basis von Bildungsanstrengungen eintritt. Im Vergleich dazu geht es aber heute um viel generellere Kompetenzvermutungen, zu deren Bildung die Universität einen signifikanten Beitrag leistet und um deren willen man ihr einen Anteil Lebenszeit schenkt. Dies bereitet eine Lebensführung vor, die vielleicht die einer »kreativen Klasse« ist,15 der man zuzugehören wünscht, die aber nicht mehr bildungsbürgerlich ausgeflaggt ist und in die man bereits in seiner studentischen Lebensführung schrittweise hinüberwechselt, so dass das Kontinuitätsmoment dort dominiert (die Kontinuität immer neuer Übergänge), wo ehedem eine in sich geschlossene Lebensphase eine Form der Ausdifferenzierung der Universität und zugleich ihr Attraktor war.
1 Siehe: Michael Moffatt: Coming of Age in New Jersey: College and American Culture, New Brunswick 1989; Jerome Karabel: The Chosen. The Hidden History of Admission and Exclusion at Harvard, Yale and Princeton, Boston und New York 2006.
2 Komparative Daten zu den Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten in: OECD: Education at a Glance 2011, insb. im Überblick, S. 30 (OECD Indicators, http://dx.doi.org/10.1787/eag-2011-en; aufgerufen: 15. 5. 2012).
3 Diese und die folgenden Zahlen bei: Richard Arum und Josipa Roksa: Academically Adrift: Limited Learning on College Campuses, Chicago 2011.; vgl. auch die Diskussion in: Anthony Grafton: »Our Universities: Why Are They Failing?«, in: New York Review of Books, 2011, S. 38–42.
4 Siehe bemerkenswert früh: David Riesman und Christopher Jencks: The Academic Revolution, New York 1968, S. 14: »… large numbers of Ph.D.s now regard themselves almost as independent professionals like doctors or lawyers, responsible primarily to themselves and their colleagues rather than their employers, and committed to the advancement of knowledge rather than of any particular institutions.«
5 Zum Beispiel mehr als 80% der Studierenden in Brighton und Leeds, vgl. Darren P. Smith und Louise Holt: »Studentification and ›Apprentice‹ Gentrifiers within Britain‘s Provincial Towns and Cities: Extending the Meaning of Gentrification«, in: Environment and Planning A 39, 2007, S.142–161, hier S. 150ff.
6 CRUS und VSS-UNES: Étudier après Bologne: le point de vue des étudiant-e-s, Bern 2009.
7 Zweifellos gibt es nach wie vor andere Verständnisse von Realität: Die New York Times findet am Morgen des 7. März 2012 auf Harvard Yard einen amerikanischen Graduate Student mit Spezialisierung auf Südasien, der dort gerade in einer deutschsprachigen Ausgabe von Kants Kritik der reinen Vernunft liest und jede Kenntnisnahme der überraschenden Erfolge des Basketballteams von Harvard bestreitet (»It‘s not in my radar«) – siehe: Bill Pennington: »At Harvard, Success But Not Much Celebration« International Herald Tribune, 9.3.2012, S. 13.
8 Ausgezeichnete Daten in OECD 2011.
9 Daten für 2007 in: David Leonhardt: »The Way We Live Now. The College Calculation«, in: New York Times, 27. 9. 2009, S. MM13.
10 Brint, Steven: »The Rise of the ›Practical Arts‹«, in: Ders. (Hg.): The Future of the City of Intellect. The Changing American University, Stanford 2002,
S. 231–259.
11 OECD 2011.
12 Vgl. Andreas Schlüter/Peter Strohschneider (Hg.): Bildung? Bildung! 26 Thesen zur Bildung als Herausforderung im 21. Jahrhundert, Berlin 2009; Rudolf Stichweh: Wissenschaft, Universität, Professionen: Soziologische Analysen, Frankfurt/Main 1994, Neuauflage Bielefeld 2013; Rudolf Stichweh: »Self-Cultivation as a Variant of Differentiation in German Social History. J.G. Herder (1778) to Max Weber (1918)«, in: Soziale Systeme 19, 2013.
13 Siehe immer noch ausgezeichnet Walter Horace Bruford: The German Tradition of Self-Cultivation. »Bildung« from Humboldt to Thomas Mann, Cambridge 1975.
14 Samuel Eck: Über die Herkunft des Individualitätsgedankens bei Schleiermacher, Gießen 1908.
15 Richard Florida: The Rise of the Creative Class. And How It‘s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002.
lehrt soziologische Theorie und allgemeine Soziologie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Luzern.
»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.
Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.