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Volker Kaiser: Freud zum Beispiel
Freud zum Beispiel
(S. 187 – 211)

Volker Kaiser

Freud zum Beispiel

PDF, 25 Seiten

In einer Passage aus Freuds Psychopathologie des Alltagslebens führt der Begründer der Psychoanalyse eine Erinnerungstäuschung an, der er selbst in seiner frühen Pariser Zeit unterlegen ist. Die Täuschung betrifft die Fehlleistungen des Lesens und des Namenvergessens, zumal das Verhältnis zum eigenen Namen hier in mehrfach entstellter Form eine Rolle spielt: Freud erinnert sich falsch an den Namen einer literarischen Figur von Alphonse Daudet, den tagträumerischen Buchhändler Joyeuse. Ihm schiebt Freud in einer Kette von Fehlleistungen zudem den eigenen Tagtraum von einer Protektion unter, wobei offenbar der Wunsch, von Charcot protegiert zu werden, am Werk ist. Kaisers Interesse richtet sich auf die Entstellungen unbewusster Prozesse, die in der Erinnerungstäuschung wirksam sind. Das Beispiel exponiert in besonderer Weise eine rekursive Struktur, die sich allem Zu- und Begreifen immer ein Stück entzieht; seine Beschreibung im traditionellen Vokabular der Induktion oder des casus in terminis steht damit in Frage. So wird das Beispiel zum Ort, an dem die Spuren der umkämpften Institutionalisierung der Psychoanalyse lesbar sind.

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Volker Kaiser

ist Leiter des Department of Germanic Languages and Literature an der University of Virginia in Charlottesville, USA. Zu seinen Publikationen zählen Arbeiten zur deutschen Lyrik in der Moderne, u.a. die Monographie »Das Echo jeder Verschattung. Reflexion und Figur bei Rilke, Celan, Benn« (1993). Zu seinen weiteren Forschungsgebieten gehören Text- und Psychoanalyse, die Kritische Theorie, und die deutsche Literatur um 1800.

Christian Lück (Hg.), Michael Niehaus (Hg.), ...: Archiv des Beispiels

Beispiele zu geben ist eine fundamentale und unverzichtbare Praxis wissenschaftlicher Diskurse. Höchst unklar aber ist ihr theoretischer Status: In Hinblick auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, Begriffe und Sachverhalte scheint das Beispiel sekundär und austauschbar zu sein. Andererseits kann ein ›schlagendes‹ Beispiel ganze Argumentationen zu Fall bringen. Es ist Moment einer Praxis, die ihrerseits zu vertraut und zu verstreut ist, um selbst auf den Begriff gebracht werden zu können. Wissenschaft und Philosophie sind weitgehend blind für ihren Beispielgebrauch geblieben. Erst in jüngster Zeit wird dem zeitgenössischen Denken deutlich, dass mit dem Beispiel etwas auf dem Spiel steht. Im Anschluss an diese Erkenntnis fragen hier Forscher unterschiedlicher Disziplinen, jeweils von einem Beispiel ausgehend, ob und wie eine Diskursanalyse und damit eine Wissenschaft des Beispiels möglich ist. Es handelt sich um Vorarbeiten und Überlegungen zur Datenbank ›Archiv des Beispiels‹, die der systematischen Erfassung und Erforschung aller Beispiele dient.

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