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Christine Ott: Pygmalion im Spiegelkabinett
Pygmalion im Spiegelkabinett
(S. 111 – 139)

Christine Ott

Pygmalion im Spiegelkabinett
Das Problem der romantischen Selbstzeugung bei Clemens Brentano und Théophile Gautier

PDF, 29 Seiten

Der Künstler als ein Genie, das im Kunstschaffen sich selbst noch einmal neu hervorbringt, die eigene biologische Geburt durch einen prometheischen Akt überbietend und zugleich seine Unabhängigkeit von der Tradition – den älteren Künstler-Generationen – behauptend: diese Lieblingsidee der Romantik ist zugleich emblematisch für eine moderne Ästhetik, die originelles Schöpfertum und das Erfinden neuer Welten an die Stelle von Mimesis und Imitatio setzt. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie das Konzept der Selbstzeugung in zwei romantischen Romanen – Clemens Brentanos Godwi (1801) und Théophile Gautiers Mademoiselle de Maupin (1835) – zugleich formuliert und durch die Ironisierung prominenter Zeugungsmythen (die Heilige Familie, Pygmalion) kritisiert wird, wobei »präformationistische« und »epigenetische« Ideen ein spannungsreiches Verhältnis eingehen. Beide Romane versuchen gegen die solipsistische Selbstzeugungsidee ein duales, androgynes Modell zu setzen, und dennoch scheinen deren Künstlerfiguren, die allesamt alter-ego-Figuren ihrer Autoren sind, letztlich wie Nachkommen Pygmalions, die sich in einem Spiegelkabinett verirrt haben: Der vermeintlich Andere, mit dem ein männlich-weibliches, zeugend-empfangendes Kunstschaffen realisiert werden soll, ist nur ein Reflex ihrer selbst.

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Christine Ott

Christine Ott

ist Professorin für Italienische und Französische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Nach dem Studium der Romanistik und Germanistik in Eichstätt und Saint-Étienne folgten Stationen an den Universitäten Heidelberg, Marburg und Harvard. Sie promovierte 2002 mit einer Arbeit zur Sprachreflexion in der Lyrik Eugenio Montales, die Habilitation folgte 2009 über Die Literatur der Bibliophagen. Nahrung als
literatur- und kulturreflexives Medium der Moderne (Rousseau, Flaubert, Proust)
. Ihre Forschungsschwerpunkte sind metaästhetische Mythen und Metaphern, der Mythos der Bibliophagie, Literatur und Esskultur, italienische Lyrik des 20. Jahrhunderts, Lyriktheorie, Autofiktion und autobiographisches Schreiben.

Weitere Texte von Christine Ott bei DIAPHANES
Matthias Krüger (Hg.), Christine Ott (Hg.), ...: Die Biologie der Kreativität

Die Werke von Künstlern und Literaten entstehen aus einer unauflöslichen Spannung zwischen ›Kopf‹ und ›Bauch‹, zwischen Geistigem und Körperlichem. Im Spektrum der Metaphern und Modelle, mit denen künstlerisches Schaffen seit der Antike zu erfassen versucht wird, nimmt das Biologische – die fortwährende Engführung des Kreativen mit dem Kreatürlichen – eine Schlüsselrolle ein: Überall scheinen Werke gezeugt, ausgetragen oder geboren zu werden, sie wachsen, altern, erweisen sich als monströs oder ›degeneriert‹ oder gewinnen ihren ästhetischen Mehrwert erst als ›organisches Lebewesen‹.

Der Band untersucht, wie das Denkmodell einer Biologie der Kreativität unter den Bedingungen der Moderne in Texten und Bildern gedacht und instrumentalisiert werden konnte und welche Relevanz die wissenschaftlichen Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts in den Naturwissenschaften, der Medizin und Psychologie für Vorstellungen, Beschreibungen und Theorien zu künstlerischer Kreativität hatten.

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