Subversion und Widerstand
10 Thesen über Kunst und Politik
Der Beitrag von Michael Hirsch analysiert die in der zeitgenössischen Kunst wirksame Kategorie der Politisierung. Die zunehmende Politisierung der Kunst resultiert nicht nur aus Entwicklungen des kulturellen Feldes – aus den diskursiven, selbstreflexiven und kontextbezogenen Strategien der Verortung künstlerischer Positionen im sozialen Raum. Sie entspricht auch einem veränderten Begriff der Politik oder »des Politischen«, wie er sich im avancierten politischen Denken der letzten Jahrzehnte vor allem in Frankreich herausgebildet hat. Es stellt sich die Frage, ob diese Entwicklungen einer parallelen Politisierung der Kunst und Ästhetisierung oder Kulturalisierung der Politik nicht für beide Bereiche, sowohl für die Politik wie für die Kunst, zu einem Verlust und einer Vermischung ihrer je spezifischen Qualitäten und Wirksamkeiten führt – der Demokratie im Falle der Politik, der Anarchie im Falle der Kunst.
In diesem Aufsatz möchte ich die Frage nach unterschiedlichen Interpretationen zeitgenössischer Kunst in einen weiteren politischen und theoretischen Kontext stellen, genauer: in den Kontext der Entwicklung der politischen Theorie und politischer Systeme im Westen. Mein Hauptaugenmerk gilt dabei dem Verhältnis zwischen kulturellen und politischen Phänomenen: der Weise, in der unsere gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen durch kulturelle und politische Diskurse geformt sind. Wie definiert sich zeitgenössische Kunst selbst? Wie kontextualisiert sie sich? Dabei muss vor allem die Politisierung der Kunst und der kulturellen Diskurse insgesamt betrachtet werden, um die Form zu erkennen, in welcher diese Diskurse politisch (gemacht) wurden. Ohne diese Erkenntnis werden unsere Versuche, kritische oder subversive Theorien und Praktiken zu entwickeln, keine ausreichende geistige Grundlage haben.
Protest, Widerstand, Verweigerung und Subversion sind Namen, die verwendet werden, um einen allgemeinen oppositionellen oder kritischen Instinkt im kulturellen Feld zu beschreiben. Es ist ein Instinkt, der eine gewisse vereinigende Kraft hat. Viele von uns stimmen instinktiv sowohl der Notwendigkeit als auch der Schönheit negativistischer Gesten im Verhältnis zur bestehenden Gesellschaftsordnung zu. Was tun wir mit diesem Instinkt, und wie arbeiten wir mit ihm? Wie verbinden wir diese symbolische Position mit den bestehenden Strukturen der gesellschaftlichen Realität? Können wir Modelle der Beschreibung kritischer und subversiver kultureller (das heißt auch ethischer) Haltungen in dem sozialen Kontext entwickeln, dem sie symbolisch widersprechen? Können subversive kulturelle Modelle ihre eigene Realität und Funktion innerhalb wie außerhalb des Feldes reflektieren, in welchem sie agieren? Oder fallen sie einem politischen Voluntarismus anheim, der in meinen Augen gegenwärtig das dominierende Modell »kritischer« gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen im zeitgenössischen kulturellen und politischen Diskurs ist?
Warum ist das Bedürfnis, politisch zu sein, das Bedürfnis, Werke als politisch zu beschreiben und kulturelle Praktiken auf der Oberfläche eines politischen Modells der Gesellschaft, so stark? Dieses Bedürfnis beruht meines Erachtens auf der Notwendigkeit, das Bewusstsein des fast vollständigen Scheiterns der Übertragung radikaler kultureller Emanzipationen seit den sechziger Jahren auf die politische, rechtliche und soziale Infrastruktur der Gesellschaft zu verdrängen. Mit anderen Worten, das Erstarken der kulturellen Linken in den letzten 15, 20 Jahren ist das Symptom einer Schwäche der politischen Linken. Die scheinbar stabile Verbindung zwischen kultureller und politischer Linker (zwischen kulturell radikalen und politisch radikalen Diskursen) muss aus dieser Sicht in Frage gestellt werden. Heute haben wir einen Punkt erreicht, an dem künstlerische »Subversion« – sowohl die Subversion und Dekonstruktion des Künstlers, des institutionellen Rahmens und des Kunstwerks als auch die Kritik der gesellschaftlichen, politischen Umgebung der Kunst – eine...
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ist Philosoph und Politikwissenschaftler und lehrt Politische Theorie an der Technischen Universität München.
Tobias Huber (Hg.), Marcus Steinweg (Hg.)
INAESTHETIK – NR. 1
Politics of Art
Broschur, 176 Seiten
PDF, 176 Seiten
Um das Thema »Politiken der Kunst« gruppieren sich die Texte der Nummer 1 der Zeitschrift INAESTHETIK. Gibt es einen politischen Auftrag des Kunstwerks? Wie bestimmt sich der Ort des Kunstwerks im sozialen Feld? Wie verhalten sich Kunstproduktion, Kunstkritik, Kunstwissenschaften und Philosophie zueinander? Ist Kunst zwingend kritisch: institutions-, markt- und ideologiekritisch? Oder setzt das Kunstwerk noch der Kritik und ihrem guten Gewissen Grenzen, die aus ihm eine riskante und vielleicht notwendig affirmative Praxis machen? Liegt der Sinn in diesen immer wieder mit dem Kunstwerk verbundenen Kategorien des Widerstands und der Subversion nicht auch in einer Art Selbstberuhigung, die es dem Künstler und der Künstlerin erlaubt, am politischen Spiel ohne wirklichen Einsatz teilzunehmen, sodass das politische Bewusstsein die Funktion einer uneingestandenen Entpolitisierung übernimmt? Wie affirmativ muss ein Kunstwerk sein, um subversiv oder politisch sein zu können?