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Matthias Thiele: Die ambulante Aufzeichnungszene
Die ambulante Aufzeichnungszene
(S. 84 – 93)

Matthias Thiele

Die ambulante Aufzeichnungszene

PDF, 10 Seiten

Vom Begriff der »Schreibszene« ausgehend wird ein Modell mobilen Aufzeichnens entwickelt. Die mediale, generative Praxis mobilen Aufzeichnens wird als ein variables Gefüge aus den Faktoren Medientechnik, Körper/Geste, Operationsraum, Kopräsenz und Semantik verstanden, wobei alle fünf Dimensionen als unabdingbare Voraussetzungen zugleich Quellen von Widerständen darstellen, die es im Akt des Aufzeichnens stets zu überwinden gilt. Das Modell wird unter anderem mit den elementaren und mannigfaltigen Aufzeichnungspraktiken der Massenmedien (von der handschriftlichen Notiz über die Pressefotografie bis hin zur Steadicam-Aufnahme), mit Bruno Latours Konzept der «immutable mobiles» und mit Fragen zur Metaphorisierung sowie Subjektivierung der mobilen Aufzeichnungspraktiken verbunden.

  • Bruno Latour
  • Mobile Media
  • Aufzeichnungspraktiken
  • Subjektivierung
  • Schreibszene

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Matthias Thiele

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Fakultät Kulturwissenschaften an der Technischen Universität Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Theorie und Geschichte portabler Medien, Flexibler Normalismus im Fernsehen, Migration und Rassismus in den Medien.

Weitere Texte von Matthias Thiele bei DIAPHANES
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft 3

Medien zeichnen auf – sie generieren und codieren Daten, machen sie verfügbar für ästhetische Prozesse wie für Prozeduren des Wissens. Aufzeichnen ist ein basaler Vorgang analoger und digitaler Medien, der eine Vielzahl von Verfahren – vom handschriftlichen Notieren bis zum digitalen Recording – umfasst: So sind die Grafien von Licht, Bewegung, Ton in die Bezeichnung der Medien Fotografie, Kinematografie, Phonografie eingegangen. Sie verweisen auf Prozess und Resultat des Aufzeichnens gleichermaßen. In diesem ›Und‹ liegt eine ganze Epistemologie des Medialen begründet: Es umreißt das Vorläufige und Unwägbare, das Zusammenwirken von Intentionalität und Zufall, das jedem
Aufzeichnen innewohnt. Dies provoziert nicht zuletzt Fragen danach, was sich wie eigentlich aufzeichnet. Was genau passiert im Prozess des Aufzeichnens? Inwieweit ist er kontrollierbar? Welche Verfahren, Gesten und Rhetoriken des Aufzeichnens bestimmen das Feld des Medialen? Welches Gewicht können Medientechniken dabei für sich beanspruchen? Und inwieweit hängt die Wertschätzung eines Mediums von seinem Vermögen ab, etwas aufzeichnen zu können? Gleichzeitig sind an das Aufzeichnen enorme Versprechen gekoppelt: auf einen Zugang zur Wirklichkeit, auf eine neue Sicht der Welt, auf Möglichkeiten, dem Vergessen zu entgehen.

Diesen Überlegungen gehen die Beiträge des Schwerpunkts nach. Insgesamt umfassen sie eine historische Spanne von den Gründerjahren der Fotografie bis zu heutigen Aufzeichnungspraktiken. Die verschiedenen Orte und Zeiten, die die einzelnen Beiträge aufsuchen, entwerfen en passant eine Mediengeschichte der Aufzeichnung, die das Nebeneinander und Zueinander verschiedener Techniken und Praktiken dokumentiert. Dass hier also nicht einzelne Verfahren in den Mittelpunkt gestellt werden, hat seinen methodischen Grund darin, dass sich die medialen Arrangements als durch und durch heterogen erweisen: Ausgehend von einem Akteur, einem Werk, einem Gegenstand zeigt nämlich
jeder einzelne der vorliegenden Beiträge, wie analoge und digitale Verfahren, von Hand ausgeführte Praktiken und technische Medien miteinander in Kontakt treten, wie verschiedene Medien- und Kulturtechniken, Gegenstände und Institutionen Allianzen eingehen: Zeichnung und Fotografie, Malerei und Digitalaufnahme, Bibliothek und Mikrofilm, Partitur und Film, Notizblock und Smartphone, Architektur und Wissenschaft. Diese keineswegs erschöpfende Aufzählung gibt einen Eindruck davon, wie sehr die verschiedenen Techniken und Praktiken innerhalb der Mediengeschichte miteinander verstrickt waren und sind – eine Geschichte, die die fragwürdige Unterscheidung zwischen ›alten‹ und ›neuen‹ Medien genauso torpediert wie die Suche nach einer Essenz oder Wahrheit einzelner Medien.

Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie ihr Augenmerk auf den Akt des Aufzeichnens richten. Außerdem nehmen sie die institutionellen Bedingungen in den Blick und die Widerstände, die sich sowohl aus dem Aufzuzeichnenden als auch den Apparaten und Techniken ergeben, mit denen aufgezeichnet werden soll. Diese drei Aspekte – Prozesshaftigkeit, Widerständigkeit und institutionelle Rahmung – konturieren das spezifisch medienwissenschaftliche Interesse, das die einzelnen Beiträge den verschiedenen Aufzeichnungspraktiken und ihren Resultaten
entgegenbringen.