Dass freilich auch und gerade der Blick auf den anderen Brennpunkt, also auf das ›intim‹ dialogische Verhältnis zwischen Kafka und Nietzsche, neue Erkenntnisse zu befördern vermag, belegt der Beitrag von Stanley Corngold. Innerhalb dieses Dialogs eröffnet Corngolds Ausgangspunkt, der ›Gnostizismus‹ als kulturelle Problemchiffre, eine überraschende Sicht auf die bislang identifizierten ›Echo‹-Kategorien der Reproduktion, der Genealogie und der Überschreitung. Auf der Grundlage einer detaillierten Rekonstruktion der These Eric Voegelins, nach der Nietzsches Projekt des Übermenschen der Logik eines säkularen Gnostizismus folge, kehrt nun die bereits eingangs behandelte konstitutive Schwäche als Eigenschaft jener »Kinder des Lichts« wieder, die durch ein Leben in sexueller Enthaltsamkeit ihre Empfänglichkeit für die göttlichen Funken erhalten hatten – deren Produktivität mithin an eine ›empfangende‹ und ›transformierende Weitergabe‹ von Signalen gebunden war, wie sie Aby Warburg für die Historiker-Künstler Nietzsche und Burckhardt als typisch erkannt hat. Es liegt dabei auf der Hand, dass Nietzsches in diesen Zusammenhang gestellten »Mandarinen mit chinesischem Pinsel«, die, selbst schwach, ihrerseits »stets nur abziehende und erschöpfte Gewitter zu zeichnen vermögen, in Kafkas Figur des chinesischen Historiker-Architekten und seinen Untersuchungen über »längst verflogene Gewitterwolken« (NSF I, S. 346) empfangen und transformiert worden ist. Doch Corngolds Rekonstruktion zielt in eine andere Richtung bzw. tiefer: Wenn sich zeigen lässt, dass die neo-gnostische Konstellation auch für Kafkas Selbstreflexionen eine zentrale Rolle spielt, dann finden wir Nietzsches Optimismus im Hinblick auf die Ersetzbarkeit der biologischen Fortpflanzung durch die künstlerische bei Kafka radikal negiert: Entgegen dem landläufigen, zunächst von Max Brod und zuletzt von der »physiobiografischen« Branche der Kafka-Forschung bemühten Substitions- bzw. Sublimierungs-Narrativ gilt das Verdikt der »Kleinigkeit« in beiden Sphären der Reproduktion, derjenigen des ›Penis‹ ebenso wie der des ›Pinsels‹. Anders als Nietzsche wusste Kafka: »es gibt keinen gnostischen Ersatz für Kinder.«