»So I thought to myself ›How would it be possible to force someone to watch the gruesome murder and make sure they can’t avert their eyes?‹«
Dario Argento
»
Da ist ein Mann, der vom Fenster entzweigeschnitten wird.«
André Breton: Erstes surrealistisches Manifest
Ganz unten
Eine leere Straße, die Häuser in blaues und rotes Licht getaucht. Zwischen den Gebäuden ist eine Lücke. An der Wand zwischen den Häusern steht »No Parking« geschrieben: Hier ist kein Ort zum Verweilen, zum Parken, sondern ein Ort des Transits, des Übergangs in eine andere Welt. Im Boden befindet sich eine Luke, die von der Ober- zur Unterwelt führt. Eine junge Frau öffnet die Luke und steigt in einen Keller hinunter. Doch unter dem Keller wartet ein Zweiter. Und auch in diesem zweiten Keller klafft ein mit Wasser gefülltes Loch im Boden. Was zunächst als Pfütze erscheint, entpuppt sich als Öffnung zu einem weiteren Raum unter den Kellern. Doch dieser unterirdischste Raum, in den die junge Frau auf der Suche nach ihrer verlorenen Brosche taucht, ist keine Höhle oder Grotte, wie man erwarten könnte. Stattdessen findet die Frau einen reich ausstaffierten, bürgerlichen Salon vor, mit Teppich auf dem Boden, Kronleuchter an der vertäfelten Decke und Gemälden an der Wand. Unter den Kellern, unter Wasser, ist ein Wohnzimmer, in welchem die Frau sich schwimmend umhertastet, keine Gefahr ahnend.
Prägnanter als mit dieser Sequenz zu Beginn seines Films Inferno aus dem Jahr 1980 lässt sich die Obsession des italienischen Regisseurs Dario Argento für den Raum des Unheimlichen kaum zeigen. Es ist eine Obsession, die sich gerade auch darin zeigt, dass ihr jegliche narrative Logik untergeordnet wird. Unmotiviert – und für den Rest des Films ohne Folgen – wird diese Sequenz von keiner anderen Logik vorangetrieben als jener der räumlichen Bewegung.1 Nicht vergebens folgt die Kamera in einer Einstellung einem Wasserrinnsal, das über die Kellerwände und den Boden bis zum Wasserloch fließt. So, wie das Wasser der Schwerkraft gehorchend immer nur abwärts rinnen kann, so drängt es auch die Figur und uns Zuschauer immer tiefer bis ganz nach unten. Aber am Ende dieser Bewegung der Schwerkraft wartet die überraschende Erkenntnis, dass die Naturgesetze bei Argento außer Kraft sind. Denn was am tiefsten Punkt unter der Erde wartet, ist ein Zimmer, wie man es nur von der oberirdischen Welt kennt. So wie in der topologischen Figur des Möbiusbandes, deren Unter- zugleich auch ihre Oberseite ist, so erwartet einen in der Tiefe von Argentos Architekturen das, was man...