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Überwachen und Straffen

Swantje Karich

Ich auch. Eine multiple Oberfläche

Aus: Lichtmächte. Kino – Museum – Galerie – Öffentlichkeit, S. 147 – 164

 Masken als Siegel der Seele


Die menschliche Wahrnehmung der Regel wie der Ausnahme funktioniert über das Prinzip der Gewöhnung. Die Regel bestätigt die Wahrnehmungslerngeschichte, die Ausnahme stört sie.


So wie wir uns an das bewegte Bild als Hauptmedium unserer Kommunikation gewöhnen oder gewöhnen werden – beim Wolkenkratzerfestival hatte die Stadt Frankfurt an ungezählten Riesenkränen große Leinwände gehängt, auf denen es aus allen Richtungen Bewegung aufzunehmen galt –, so gewöhnen wir uns auch an die Körper und Gesichter, die uns umgeben, die wir sehen – und daran, wie wir uns selbst sehen.


Der menschliche Körper und besonders auch das Gesicht haben sich allen konservativen Ideen von anthropologischen Konstanten zum Trotz in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert – das sagt uns die Erinnerung, das sagen uns die verbreitetsten Bilder. Natürlich ist das Maß dieser Veränderung ex­trem umfeldabhängig. Doch schaut man sich in der Botox-­Hyaluronsäure-Kunstwelt um, sieht man da Gesichter, die anders als ihresgleichen vor zwanzig Jahren keine Falten kennen, manchmal schon verunstaltet maskenhaft sind, wie das Gesicht von Emmanuelle Béart, die sich 2010 von einer Endvierzigerin in ein kleines Mädchen verwandeln wollte mit Apfelbäckchen und vollen Lippen.


Das ist schon ein alter Hut, ich weiß. Das Beispiel macht aber doch deutlich, wie sehr die dauernde, wiederholte Wahrnehmung von kleinen Sensationen langsam nicht mehr Ereignis-Charakter hat, sondern Zustand wird: nach und nach die Gesellschaft verändert.


Diese neuen Möglichkeiten des Eingriffs in unser ­Äußeres betreffen zunehmend auch Menschen, die davon gar keinen Gebrauch machen wollen, und stiften bei ihnen mal Unsicherheit, mal Ratlosigkeit.


Nicht nur weil diese Eingriffe eine andauernde Beschäftigung mit der eigenen Wirkung bedeuten und den ohnehin gegebenen ständigen Stress verstärken, entspannt und gut gelaunt aussehen zu müssen. Ich wurde schon auf meine sogenannte »Zornesfalte« angesprochen – ich würde nicht so verbissen aussehen, wenn sie nicht mehr da wäre. Wirkung und noch viel wichtiger: Anerkennung von Menschen wird mechanisch auf äußere Markierungen heruntergerechnet.


Eine vielleicht für einige nebensächliche, für mich aber entscheidende Frage drängt sich mir immer wieder auf, wenn ich solche Gespräche und ihre Folgen beobachte: Warum nur nutzen wir die in ein paar hundert Jahren bürgerlicher Gesellschaft eroberte Freiheit der Kunst, des Künstlichen, die allgegenwärtigen Menüs der selbstdarstellenden Selbstbestimmung nur noch so selten, um uns – gegen die angebotenen Typen – tatsächlich ganz neu zu erfinden, wie man es Stars so gern zugute hält? Im 19. Jahrhundert wurde jede Menge gleichförmiger Kunst geschaffen. Leben wir umgekehrt in einem Jahrzehnt, das viele gleichförmige Menschen herstellt, für die sich dann natürlich auch keine Kunst...

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Swantje Karich

Swantje Karich

ist Kunsthistorikerin, Kunstkritikerin, Kennerin des Kunstmarkts und Redakteurin bei der F.A.Z. Sie hat in Bonn und Leicester, England, Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie studiert und in Berlin die Journalisten-Schule besucht. Sie lehrt in Frankfurt beim Studiengang »Curatorial Studies – Theorie – Geschichte – Kritik«, in Berlin an der Humboldt-Universität am Institut für Kunst- und Bildgeschichte sowie an der Martin-Luther-Universität Halle.

Weitere Texte von Swantje Karich bei DIAPHANES
Dietmar Dath, Swantje Karich: Lichtmächte

Bilder, wohin man schaut – an der Wand wie in der Hand. Das Visuelle ist in Bewegung: Zwischen Massen-, Sammler- oder Bildungsgut verschieben sich die Grenzen. Das Kino lernt mit digitalen Produktions- und Verbreitungsbedingungen zu leben. Die Bildende Kunst sieht ihren Anspruch auf Autonomie von ökonomischen, ästhetischen und politischen Schocks erschüttert. Die gängige Kritik daran hat viele Namen: »Simulation«, »Kulturindustrie«, »Spektakel«. Wer so redet, spaltet die Welt: Auf der einen Seite stehen die Bilder, auf der anderen die kritischen Köpfe. Aber kritische Unschuld gibt es nicht. Wer das leugnet, versperrt den Weg zur visuellen Mündigkeit. Gerade sie aber kann andere Bilder denken als die herrschenden. Mal essayistisch, mal in Dialogform steckt Lichtmächte entlang von Filmkritik, Kunstkritik, Kunstgeschichte und politischer Analyse die Probierfelder für ein aufmerksames, neues Sehen ab.