Gibt es eine Pädagogik der Heilung?
Übersetzt von Thomas Laugstien
Aus: Schriften zur Medizin, S. 63 – 90
In der Beziehung von Arzt und Patient ist die Heilung auf den ersten Blick das, was der Kranke vom Arzt erwartet, aber nicht immer bekommt. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen der Hoffnung, die bei jenem auf der Annahme einer durch Wissen begründeten Macht beruht, die dem anderen zuerkannt wird, und dem Bewusstsein der Grenzen, die dieser seiner Wirkungskraft einräumen muss. Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass die Heilung unter allen Gegenständen medizinischen Denkens der von den Medizinern am wenigsten behandelte ist. Es liegt aber auch daran, dass der Arzt in der Heilung ein subjektives Element wahrnimmt, den Bezug auf die Einschätzung des Betroffenen, während sie aus seiner objektiven Sicht im Rahmen einer Behandlung erfolgt, die durch die statistische Erhebung ihrer Ergebnisse bewertet wird. Auch ohne despektierliche Anspielungen auf die Komödie, in der die Ärzte den Kranken für ihre misslungenen Therapien verantwortlich machen, kann man sagen, dass das Ausbleiben der Heilung bei dem einen oder anderen Patienten noch nicht dazu führt, dass der Arzt die Wirksamkeit, die er einer bestimmten Behandlung zuschreibt, in Zweifel zieht. Umgekehrt müsste, wer zutreffend von der Heilung eines Einzelnen sprechen will, nachweisen können, dass die Heilung, wenn man darunter die erfüllte Erwartung des Kranken versteht, tatsächlich die Wirkung der verordneten und sorgfältig angewandten Therapie ist. Dieser Nachweis ist heute schwerer denn je zu erbringen angesichts der Anwendung der Placebo-Methode,1 der Erkenntnisse der psychosomatischen Medizin, des Interesses am intersubjektiven Verhältnis von Arzt und Patient und der Tatsache, dass manche Ärzte die Wirkung ihrer Anwesenheit mit der eines Medikaments vergleichen. Bei Arzneimitteln kann inzwischen die Art, wie sie verabreicht werden, wichtiger sein als das, was gegeben wird.
Kurz, für den Kranken ist die Heilung das, was die Medizin ihm schuldig ist, während für die meisten Ärzte, auch heute noch, das, was die Medizin dem Kranken schuldet, die am besten erforschte, erprobte und bewährte Behandlung ist. Das unterscheidet den Arzt vom Heiler. Ein Arzt, der niemanden heilt, wäre immer noch ein Arzt, ist er doch durch eine Approbation, die ihm ein formell anerkanntes Wissen bescheinigt, zur Behandlung von Kranken befugt, deren Krankheiten hinsichtlich ihrer Symptomatologie, Ätiologie, Pathogenie und Therapie in Lehrbüchern dargestellt sind. Ein Heiler kann nur faktisch ein Heiler sein, weil er nicht nach seinen »Kenntnissen«, sondern nach seinen Erfolgen beurteilt wird. Arzt und Heiler haben ein gegensätzliches Verhältnis zur Heilung. Der Arzt kann die Fähigkeit zu heilen durch öffentliche Legitimation...
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war Philosoph und Mediziner und einer der bedeutendsten Wissenschaftshistoriker Frankreichs. Mit seinem Denken beeinflusste er unter anderem Michel Foucault und Gilbert Simondon. Nach seinem Abschluss in Philosophie 1927 unterrichtete er zunächst an Gymnasien. Ein darauf folgendes Medizinstudium schloss er 1943 in Straßburg ab. Er nahm aktiv an der Résistance teil und richtete 1944 im Süden Frankreichs ein Lazarett ein, dessen Evakuierung er während eines Angriffes leitete. 1955 habilitierte er sich an der Sorbonne und folgte Gaston Bachelard als Leiter des Instituts für Wissenschaftsgeschichte nach.