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Paul Ziche: »Wissen« und »hohe Gedanken«
»Wissen« und »hohe Gedanken«
(S. 129 – 150)

Allgemeinheit und die Metareflexion des Wissenschaftssystems im 19. Jahrhundert

Paul Ziche

»Wissen« und »hohe Gedanken«
Allgemeinheit und die Metareflexion des Wissenschaftssystems im 19. Jahrhundert

PDF, 22 Seiten

Auch jenseits der Vereinnahmung für die Fundamentalontologie steht Kant im Zentrum der Fragen, die die Philosophie im Zusammenhang mit dem Allgemeinen umtreiben. Die jährlich stattfindenden Versammlungen Deutscher Naturforscher und Ärzte, die so etwas wie die Urform wissenschaftlicher Kongresse darstellen, sahen seit der von Alexander von Humboldt organisierten Berliner Versammlung von 1828 eine Trennung in allgemeine und spezielle Sektionen vor. Die Vorträge in den ersteren sollten von übergeordnetem Interesse sein, aber nicht in der heutzutage typischerweise gepflegten Art, dass ein für alle interessantes Thema in übersichtlicher Manier vorgestellt würde. Vielmehr ging es um eine wertorientierte, reflexive Gebrauchsweise des Begriffs des Allgemeinen, der das Verhältnis der Wissenschaften zueinander thematisierte. In seinem Beitrag argumentiert Paul Ziche, dass dieses Verständnis auf Kant zurückzuführen ist, der das Allgemeine als eine von den Wissenschaften selbst unabhängige Reflexionsinstanz einführte, die die Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft erkundet. Wenn man so will, kommt das Spezielle als Ausführungskompetenz zur Geltung, während das Allgemeine als Reflexionskompetenz dasteht. Diese Trennung stieß auf die Kritik von Idealisten wie Fichte und Schelling, denen ein umfassendes, allgemeines System von Wissenschaft vorschwebte, das sich – durchaus praktisch gedacht – über das Niveau »bloßer Spezialschulen« (Schelling) erheben sollte. Die verbindliche Wissenschaftlichkeit dieses Systems wird aber auch für Schelling nur durch die Reflexivität gesichert, die jedoch, anders als bei Kant, Teil des Systems selbst ist.

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Paul Ziche

studierte Philosophie, Physik und Psychologie in München und Oxford. Von 1996 bis 2000 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik der Universität Jena. Er ist Mitarbeiter der Schelling-Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften in München.

Michael Hagner (Hg.), Manfred D. Laubichler (Hg.): Der Hochsitz des Wissens

Der Begriff des Allgemeinen steht gemeinhin für den Gegensatz zum Besonderen, zum Einzelnen oder auch zum Teil(-weisen). Zum Allgemeinen vorzustoßen bedeutet, einen größeren Horizont abzustecken, der die Voraussetzung für weitergehende Erkenntnis bildet, aber auch gewisse Risiken mit sich bringt. In den Wissenschaften wird das Allgemeine erst im 19. Jahrhundert zu einer zentralen epistemischen Ordnungskategorie.

In dem Band geht es um die Wiedereingliederung von konzeptuellen und theoretischen Aspekten in die Wissenschaftsgeschichte nach dem »practical turn«. Das Allgemeine wird als praktisch relevanter Grundwert der Wissenschaften verstanden, mittels dessen Wissen generiert, strukturiert, verändert bzw. überhaupt erst verfügbar gemacht wird. Die Beiträge zeigen, wie das Allgemeine etwa in Biologie, Medizin, theoretischer Physik, Kultur- und Kunstgeschichte sowie der Philosophie zur Geltung gebracht wird. Wollte man diese scheinbare Vielfalt auf einen Nenner bringen, so könnte man vielleicht sagen: Zweifellos steckt der Teufel im Detail, doch zumindest das Versprechen auf höhere Erkenntnis steckt im Allgemeinen.

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